Die Straßen sind asphaltiert, schlechte Nebenwege fast nicht zu finden oder nur privat bis zum nächsten Haus. Es ist sicher und wir lassen das Auto ums Eck ohne Sichtkontakt neben dem Cafe stehen. Bequem – aber für mich momentan langweilig – nicht per se, nur im Vergleich zu Kolumbien. Keiner winkt und grinst, wenn er uns von weitem sieht. Hier mit dem Defender zu fahren ist… anders.
Die Landschaft ist grandios, Wasserfälle an jeder Ecke und Schneereste auf mondähnlichen Hügeln verteilt, dazwischen ein wunderschöner Fjord… und trotzdem bin ich traurig. Ich vermisse das Abenteuer, die Widrigkeiten, das Unbekannte beim Reisen. Hier fühlt man sich nicht fremd, es ist nur weiter und größer – hier ist es schön und entspannend… perfekt für Urlaub!
Für mich gefühlt aber drei Monate zu früh Urlaub. Ich muss switchen von Ungewissheit auf Genießen. Das fällt momentan noch schwer, da ich in meinem freien Jahr eben genau die Ziele anschaun wollte, die ohne Sabbatjahr nicht möglich sind. Ziele, die zu aufwändig sind, zu unbequem, zu viel Energie kosten oder zu weit weg sind für Urlaube. Jetzt bin ich in einem wunderschönen Land und ich fühl mich tatsächlich fehl am Platz. Und noch blöder: ich bin traurig, weil ich traurig bin. Martin ist glücklich hier zu sein und genießt die Freiheit, die Normalität – wie in Kanada! Ich hab genau das gegenteilige Gefühl. Ironie, dass Martin die Idee hatte und nun ich die bin, die nicht aufhören mag. Ich wäre gern in Südamerika noch mehr schlechte Straßen abseits von Touristenwegen gefahren, wohin ich ohne Defender nicht mehr hinkomme. Das ärgert mich. Und die Tatsache dass ich mich ärgere, ärgert mich auch noch zusätzlich und trübt natürlich die Stimmung.
Norwegen war unser Kompromiss, Lima kam für Martin nicht in Frage, Valparaiso für mich nicht. Mariano hat es auf den Punkt gebracht: „Martin wollte die Panamerikana fahren, du wolltest reisen.“ Stimmt.
Reisen braucht Zeit, die Panam zu fahren geht schneller. Deshalb gabs Diskussionen über unsere Ziele in den letzten drei Monaten. Für Monate trennen war natürlich keine Option, weil wir gern zusammen unterwegs sind. Daher die Suche nach einem gemeinsamen Ziel für Juni/Juli. Ich wusste, dass mir Norwegen gefällt, dass es mir dann so schwer fällt, wusste ich vorher noch nicht. Und kann natürlich auch keiner verstehen, vielleicht nur Reisende. Wir hören gerade das Hörbuch „Mittendurch statt drüber weg“ von Peer Bergholter & Jochen Müller, denen ging es teilweise ähnlich am Schluss. Reisen ist hald sehr emotional, anstrengend in einer ganz eigenen Weise und daheim kanns keiner nachvollziehen, weil von außen siehts nach Urlaub aus. Wir versuchen hier in diesem Blog aber ehrlich Tagebuch zu schreiben und nicht nur die Schokoladenseiten in „Instagrambildern“ zu zeigen. Und unsere ersten Tage in Norwegen waren für mich: optisch Instagram – emotional unrund.
Ich brauche bissl Zeit.
Allein Spazieren gehen.
Ein Gefühl dafür bekommen, dass hier Trolle wohnen und außerdem sind ja auch Drachen hier zu Hause.
Eine Freundin hat völlig Recht, wenn sie sagt „Norwegen ist viel zu schön, um nur ein Kompromiss zu sein!“ Ich muss aber erst Umdenken, vom Reisen zum Schauen, vom Abenteuer zum Genießen, ohne Schlaglöcher, ohne Stau, ohne Staub, ohne Müll überall, ohne Straßenblockaden, ohne Sicherheitsbedenken. Was wir hier machen können: Wandern und irgendwo Zelten, wild campen und bis 22 Uhr Schlafplatz suchen… bissl wie in Island… eigentlich ja ein Traum! Deswegen wollte Martin hierher.
Also aufraffen – auch wenns mir die ersten Tage echt sehr schwer fällt. Wehmut wegpacken, Kapitel Südamerika schließen, mit Kopfhörer laut Gute-Laune-Rock hören – und anfangen zu Staunen!
Bildausschnitt aus Gemälde von Edward Munch, Oslo
Schnee, Eis und langsames Fahren ohne „Jetzt müssen wir aber weiter!“ Das gefällt mir. Ich fang wieder an zu fotografieren. Es fängt an Spaß zu machen.
Hallo Norwegen!